Experten-Interview JetlagJetlag – was Schlafexperten raten
Langstreckenreisende kennen das Problem: Am Urlaubsort angekommen, quält man sich todmüde durch den Tag, um nachts hellwach im Hotelzimmer zu sitzen. Eltern mit Kindern sind „doppelt betroffen“ und leiden oft besonders. Der Schlafexperte weiß Rat.
von KidsAway-Redaktion
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Mit Jetlag kämpfen auch Kinder - aber es gibt Hilfe
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Es gibt eine schöne Geschichte von einem Indianer, der mit der Eisenbahn quer über den amerikanischen Kontinent fährt. Während der Fahrt bittet er plötzlich den Lokführer, anzuhalten, steigt aus, setzt sich auf der Strecke hin und wartet. Als die anderen Passagiere fragen, was er da macht, antwortet er: „Mein Körper ist zu schnell unterwegs, jetzt warte ich, dass auch meine Seele mitkommt.“
Obwohl die Geschichte sicherlich erfunden ist, hat sie doch eine wahre Botschaft: Viele Reisende fühlen sich nach der Ankunft am Ziel noch eine ganze Weile „nicht richtig angekommen“. Das liegt vor allem an der Zeitverschiebung: Für die Durchquerung des amerikanischen Kontinents brauchte der Indianer mit dem Zug mehr als sieben Tage; mit dem Flugzeug dauert es wenige Stunden. Kein Wunder, dass Reisende heutzutage eine Weile brauchen, bis „ihre Seele hinterhergekommen ist“.
Einen Jetlag kann man nicht vermeiden; 93 Prozent aller Menschen leiden darunter. Kinder sind da keine Ausnahme, was Langstreckenflüge für Eltern doppelt anstrengend macht. Aber deshalb auf Fernreisen verzichten?
Wir haben Dr. Stoohs vom Schlaflabor Somnolab in Essen gefragt, was Eltern tun können, um den Jetlag für sich und ihre Kinder erträglicher zu machen.
KidsAway: Herr Dr. Stoohs, was ist Jetlag überhaupt?
Dr. Stoohs: Ein Jet Lag entsteht, wenn man binnen weniger Stunden mehrere Zeitzonen durchreist. Unsere „innere Uhr“ wird vor allem durch Faktoren wie das Licht gesteuert. Am Flugziel herrscht eine andere Tageszeit, wodurch wichtige, über die „innere Uhr“ gesteuerte Körperfunktionen wie der Schlaf-Wach-Rhythmus, das Hungergefühl oder die Verdauung aus dem Lot geraten.
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Bei Reisen von Ost nach West (also nach Amerika) verlängert sich der Tag, in umgekehrter Richtung verkürzt er sich. An einen längeren Tag kann sich die innere Uhr der meisten Menschen besser anpassen. Die größten Probleme haben also Reisende nach Asien und Australien.
Man ist also nicht nur besonders müde?
Nein. Man ist auch zur falschen Zeit hellwach. Durch das Durcheinander kommt es außerdem zu Konzentrationsproblemen und Gereiztheit, oft auch zu Übelkeit oder Hungerattacken zu unpassenden Zeiten.
Wie lange dauert es, bis ein Jetlag überwunden ist?
Als Faustregel gilt: Um eine bis anderthalb Stunden Zeitverschiebung auszugleichen, braucht der Körper ungefähr einen Tag. Für einen Flug an die Westküste der USA, die neun Zeitzonen von der mitteleuropäischen entfernt ist, braucht man entsprechend sechs bis neun Tage. Das ist aber individuell sehr verschieden: Manche benötigen mehrere Wochen, andere sind schon nach einigen Tagen in der neuen Zeit „angekommen“.
Leiden auch Kinder unter Jetlag?
Babys haben bis zum sechsten Monat noch keine entwickelte „innere Uhr“, also leiden sie auch nicht an Jetlag. Für ältere Kinder, die bereits einen geregelten Schlaf-Wach-Rhythmus haben, gilt jedoch das gleiche wie für Erwachsene.
Was können Eltern tun, um ihren Kindern nach Langstreckenflügen die Umstellung zu erleichtern?
![Ich bin so müüüde ... Jetlag ist für Kinder sehr anstrengend © Serhiy-Kobyakov - Fotolia.com Ich bin so müüüde ... Jetlag ist für Kinder sehr anstrengend © Serhiy-Kobyakov - Fotolia.com](https://www.kidsaway.de/wp-content/uploads/2013/04/Fotolia_47612946_XS-Serhiy-Kobyakov.jpg)
Ich bin so müüüde ... Jetlag ist für Kinder sehr anstrengend
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Licht kann unterstützend gezielt eingesetzt werden: Um die innere Uhr zurückzustellen, sollte man sich morgens nach dem Aufstehen mindestens 45 Minuten dem Tageslicht aussetzen. Viel Licht am frühen Abend hilft dabei, die innere Uhr vorzustellen. In den Wintermonaten kann man dafür eine Lichtbox benutzen, wie sie in Skandinavien oft eingesetzt wird.
Eltern fühlen sich nach der Ankunft oft gerädert, weil sie im Flugzeug kaum geschlafen haben – die Kinder sind dagegen ausgeruht und hellwach …
Den Flug zu verschlafen, ist nicht unbedingt eine gute Idee. Wer nach Westen fliegt und am frühen Abend der neuen Ortszeit ankommt, der sollte möglichst müde sein, um gleich „richtig“ zu schlafen. Wer schon vorher weiß, dass er auf dem Flug wenig schlafen wird, der sollte die Ankunft möglichst auf den Abend legen, damit bald „Schlafenszeit“ ist.
Und wenn man am Urlaubsziel angekommen ist und schnell einsatzbereit sein muss – so wie Eltern mit kleinen Kindern?
![Keine Extrawürste: Den Jetlag kurieren Eltern am besten, wenn sie gemeinsam mit den Kindern schlafen © S.Kobold - Fotolia.com Keine Extrawürste: Den Jetlag kurieren Eltern am besten, wenn sie gemeinsam mit den Kindern schlafen © S.Kobold - Fotolia.com](https://www.kidsaway.de/wp-content/uploads/2013/04/Fotolia_49834798_XS-S.Kobold.jpg)
Keine Extrawürste: Den Jetlag kurieren Eltern am besten, wenn sie gemeinsam mit den Kindern schlafen
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Am Zielort angekommen, ist Schlaf tagsüber ungünstig. Aus einem Nickerchen wird nämlich schnell der gewohnte Tiefschlaf, aus dem man nur schwer und gerädert wieder erwacht.
Auch die Mahlzeiten sollten schnell zu den am Urlaubsort üblichen Zeiten eingenommen werden (kleine Snacks für heißhungrige Kinder sind natürlich erlaubt) und am wichtigsten ist es, viel natürliches Licht zu tanken. Das ist im Urlaub zum Glück meist kein Problem: Müde Kinder kann man mit Spielplatz- oder Swimmingpool-Besuchen so lange wach halten, bis sie schlafen „dürfen“.
Bei Kurztrips, die nicht mehr als ein paar Tage dauern, kann es schließlich sogar sinnvoller sein, die innere Uhr erst gar nicht umzustellen und den gewohnten Tagesrhythmus beizubehalten. Dann vermeidet man zwei anstrengende Umstellungen innerhalb kurzer Zeit.
Etwa zehn Prozent aller Fernreisenden nutzen Schlafmittel, weil sie unter Jetlag leiden. Aber Vorsicht: Schlafmittel lindern nur die Symptome, sie wirken nicht gegen den Jetlag an sich. Hier sollte man sich auf jeden Fall von einem Schlafmediziner beraten lassen! Erwachsenen empfehlen wir die unterstützende Einnahme von Melatonin, aber nur wenn sie am Zielort eine besondere Aufgabe haben, bei der sie unbedingt wach sein müssen! Bei Kindern raten wir aber davon ab. Es ist zwar wissenschaftlich belegt, dass Melatonin, ein körpereigenes Hormon, der „inneren Uhr“ hilft, sich schneller an neue Zeitzonen anzupassen. Aber da noch nicht klar ist, wie Hormonpräparate das körpereigene Hormonsystem beeinflussen, wird Melatonin in Europa als Arzneimittel eingestuft. Zudem kann die gefäßverengende Wirkung von Melatonin bei Menschen mit Herzerkrankungen problematisch werden. Nimmt man das Hormon falsch dosiert oder zur falschen Tageszeit ein, kann es schließlich eine gegenteilige Wirkung erzielen. Wir empfehlen Melatonin deshalb nur eingeschränkt und bevorzugen eine Lichttherapie. Sonnenaufgang am Strand - zum Glück gibt's Jetlag! © .shock - Fotolia.com
Kann man Kindern die Umstellung mit Medikamenten erleichtern?
Melatonin-Präparate sind doch aber in den USA als Nahrungsergänzungsmittel frei verkäuflich?
Vielen Dank für das Interview, Herr Dr. Stoohs!
In aller Herrgottsfrühe wach zu sein, kann auch Spaß machen!
Ein Spaziergang auf menschenleeren Straßen, der Morgentau auf den Gräsern und vor allem der Sonnenaufgang sind Dinge, die man im Alltag selten erlebt; weil man sie in der Regel verschläft. Genießt sie mit euren Kindern!
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Unsere Jetlag-Erfahrungen mit zwei kleinen Kindern:
Als wir letztes Jahr nach Kalifornien flogen, war der Hinflug gen Westen kaum ein Problem. Bei der Heimkehr haben wir aber etwa fünf Tage gebraucht, bis alles wieder im Lot war. Die ersten drei Nächte haben wir zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens mit zwei hellwachen Kindern spielend verbracht.
Dagegen war unser Rückflug von Australien über Asien nach Deutschland vor ein paar Tagen vergleichsweise easy: Wir hatten ein paar Tage Aufenthalt in Singapur eingeplant (macht aber nur 2 Stunden von der Zeitverschiebung aus). Von Singapur nach Deutschland sind es noch einmal etwa 13 Stunden Flug. Während des Nachtflugs schliefen unsere Kinder. Wir kamen um 7 Uhr morgens in Frankfurt an und haben es dann geschafft, allesamt bis zum Abend (mit Ausnahme der Kinder, die im Zug noch einmal etwa eine Stunde schliefen) wachzubleiben. Das Wetter war gut und wir verbrachten gleich ganz viel Zeit draußen und mit dem ersten Kindergartenfreundbesuch. Um halb acht gingen wir dann alle ins Bett. Unsere 1,5-jährige Tochter wurde einmal um 2 Uhr morgens wach und aß einen Apfel und schlief dann bis um fünf Uhr weiter. Unser 4,5-jähriger Sohn schlief bis um vier Uhr durch. Bis fünf Uhr spielte er dann im Bett und dann war die erste Nacht zuende. Beide Kinder gingen dann direkt in den Kindergarten (nur einen halben Tag zur Eingewöhnung). Und wieder ohne Mittagsschlaf (außer die ganz Kleine) hielten wir am zweiten Tag mit Sonne und Aktivitäten bis zum Abend durch. Ergebnis: Alle (!) schliefen von acht Uhr abends bis um halb sieben morgens durch, schon am zweiten Tag. Heute sind wir immer noch etwas müder als sonst, aber der Schlafensrhytmus scheint bereits wieder zu stimmen. Das ist wirklich super.
Übrigens: Nach Neuseeland und Australien kann man auch westwärts über die USA und Hawaii fliegen. Wir haben das schon zweimal so gemacht 🙂