Außergewöhnliche Familien auf ReisenKidsAway Familien-InterviewMit Fahrrad und Anhänger durch Südostasien
Sind Radsportler die reiselustigeren Eltern? Waldemar und Katja ließen sich jedenfalls nicht beirren – weder von schwerem Gepäck noch von Tropenhitze und neuseeländischer Frühlingskälte. Nach zehn Monaten haben sie das Geheimnis des Reisens entdeckt – und viel über sich selbst.
Teil 7 von 15 der Serie Außergewöhnliche Familien auf Reisen
von KidsAway-Redaktion
Die Pionteks in Sri Lanka © Waldemar Piontek
KidsAway: Könnt Ihr uns ein wenig von eurer Familie erzählen – wer seid ihr?
Waldemar: Wir sind zu viert: Katja ist Heilpraktikerin und Handweberin, ich bin technischer Redakteur und erstelle Gebrauchsanleitungen rund um das Fahrrad. Unsere Tochter Anika ist 14 Jahre, Titus ist 11 Jahre alt. Als wir mit ihnen zehn Monate durch Südostasien und Neuseeland geradelt sind, waren sie aber erst fünf und zwei Jahre alt.
Gab es einen bestimmten Anlass für diese Reise?
Katja: Gereist sind wir schon immer gern. Als die Kinder kamen, schien es damit vorbei zu sein: „Ihr braucht eine Ferienwohnung, ein Bett, eine Badewanne usw.“ – das hat uns zumindest unsere Umgebung weismachen wollen. Wir haben es nicht geglaubt und mit unserer acht Monate alten Tochter eine zweiwöchige Hochzeits-Radtour mit Zelt an der Ostsee gemacht. Das klappte gut. Mit dem nächsten Kind waren wir noch früher unterwegs, Titus war da vier Monate alt.
Waldemar: Aber die Zeit war immer begrenzt und unser Wunsch, das Leben nach dem eigenen Rhythmus zu gestalten, wuchs. Ich arbeitete damals als Angestellter, Katja war zu Hause und kümmerte sich um die Kinder. Wir waren damit beide ziemlich unzufrieden. Da bot es sich an, ein Jahr Elternzeit zu nehmen, um „richtig“ zu reisen und neue Perspektiven für unser Leben zu finden.
Eine Fernreise mit Fahrrädern ist doch sicher recht aufwändig zu planen? Wie habt Ihr Euch vorbereitet?
Waldemar: Zuerst mussten wir unsere eigenen Ängste und Unsicherheiten überwinden. Von der Außenwelt wird man sowieso für verrückt erklärt. Viel Zeit habe ich auch mit Sponsorensuche verbracht. Dann ging viel Zeit dafür drauf, sich über die einzelnen Zielländer zu informieren, über Themen wie Gesundheit und Sicherheit nachzudenken. Das meiste davon diente der Beruhigung der Ängste. Vom ersten Gedanken bis zum Start hat es anderthalb Jahre gebraucht.
Katja: Allerdings ist dann wegen des Irakkriegs von unserer ursprünglichen Routenplanung nicht viel geblieben: Wir wollten eigentlich von der Türkei in die Mongolei radeln. Innerhalb weniger Wochen haben wir uns dann für Südostasien, Neuseeland und Sri Lanka entschieden. Wir sind in Malaysia gelandet ohne einen blassen Schimmer, was uns erwartet.
Wie sah denn Euer Alltag auf Reisen aus?
Anika im Trets © Waldemar Piontek
Waldemar: Am Anfang hatten wir noch unseren schnellen europäischen Rhythmus: Immer weiterfahren und schauen, was hinter der nächsten Bucht kommt! Das war vielleicht stressig. Nach zwei Monaten wurden wir zur Änderung gezwungen: Anika hat sich ein Loch in den Hinterkopf geschlagen, die Wunde wurde genäht und wir blieben über eine Woche an einem Ort. Für uns war das ein großer Wendepunkt. So entdeckten wir die Langsamkeit und sahen endlich, woran wir bis dahin vorbeigerauscht waren.
Was waren die Highlights in den zehn Monaten?
Katja: Das lässt sich schwer sagen. Richtige Höhepunkte wie das Besteigen eines Berges gab es nicht, da wir ja einfach unseren Alltag gelebt haben – mit dem Unterschied, dass wir ohne festen Wohnsitz waren, all unser Hab und Gut auf unseren Rädern dabeihatten und uns mit diesen fortbewegt haben.
Waldemar: Am intensivsten erinnern wir uns an die vom Bürgerkrieg erschütterte Ostküste Sri Lankas. Die Menschen hier waren sehr arm, aber auch sehr herzlich. In einem Waisenhaus, wo wir eine Woche verbrachten, sind uns viele ans Herz gewachsen. Weihnachten verbrachten wir im Südosten Sri Lankas mit anderen Reisenden in einem Baumhaus mit einem riesigen gegrillten Fisch für alle. Und toll waren auch die letzten vier Wochen, die wir mit Reisefreunden aus Malaysia verbracht haben.
Seid Ihr auch mal an den Punkt gekommen, wo es nicht mehr weiterging?
Waldemar: Ja, an diesen Punkt sind wir sogar zweimal gekommen. In Neuseeland waren wir zu früh im Jahr angekommen, wir mussten uns plötzlich von 40° C auf Nachtfrost umstellen. Der Frühling ließ auf sich warten, es war kalt und stürmisch. Wir haben alles angezogen, was wir hatten! Außerdem hatten wir mit dem „Europäischen“ zu kämpfen, von dem wir uns ja eine Auszeit nehmen wollten. Diese Konfrontation brachte uns allerdings auch wieder weiter, indem wir erkannten, was wir wirklich unterwegs suchten.
Katja: Das zweite Mal war in Sri Lanka, so um Weihnachten herum: Mitten in der Regenzeit hockten wir in einem fensterlosen Zimmer, alles schimmelte vor sich hin, die Reisfelder waren überschwemmt, die Straßen auch. Wir wollten einfach nur nach Hause. Da hätte es im Winter aber auch nicht besser ausgesehen! Wir fuhren weiter, bald schien wieder die Sonne und wir erlebten unsere ersten tropischen Weihnachten und damit die beste Zeit unserer Reise.
Mit der Erfahrung von heute: Was würdet Ihr anders machen?
Katja: Mit der Erfahrung, die wir heute haben, würden wir uns weniger Sorgen machen – und wohl keine Kultursprünge wie von Asien nach Neuseeland mehr einplanen. Dieses Land ist eine Extrareise wert.
Thailand, Malaysia, Sri Lanka, Neuseeland – wo fandet Ihr es denn am schönsten?
Golden hair! © Waldemar Piontek
Uns haben die Ostküsten von Malaysia und Sri Lanka am besten gefallen, da es dort weniger Touristen gibt und das Leben ruhiger und traditioneller zugeht.
Könnt Ihr Südostasien als Reiseziel für Familien empfehlen?
Waldemar: Auf jeden Fall! Die Menschen sind friedlich und freundlich. Aber man muss sich Zeit für sie nehmen, denn die Uhren ticken dort langsamer. Von zweiwöchigen Urlauben halte ich nicht viel.
Wie hat die lange Reise auf Eure Kinder gewirkt?
Katja: Gegenfrage: Wie wären sie geworden, wenn wir die Reise nicht gemacht hätten? Auf jeden Fall sind die beiden sehr offen gegenüber anderen Kulturen und gegenüber Neuem. Titus war auf der Reise zwei Jahre alt. Seine ersten Sätze sprach er auf Englisch. Diese Sprache ist ihm immer noch vertraut.
Anika kam kurz nach unserer Rückkehr in die Schule, wollte aber nach Kurzem nicht mehr hingehen. Ihre ersten Worte hatte sie in Neuseeland in den Sand geschrieben, weil sie es wollte. Nun sollte sie stillsitzen und Anweisungen befolgen. In unserem neuen Zuhause in Leipzig gehen die Kinder heute in eine Freie Schule, wo sie selbst bestimmen, wie und was sie lernen.
Titus lernt lesen? © Waldemar Piontek
Waldemar: In Malaysia haben wir zwei Monate für eine Strecke gebraucht, die andere Radler in einer Woche durchgezogen haben. Erst hat uns das frustriert, doch dann lernten wir die Vorzüge schätzen. Die Kinder lehrten uns Langsamkeit. Sie konnten sich stundenlang ins Spiel mit Strandgut vertiefen, während wir Erwachsenen immer Ablenkung brauchten.
Die Reise hat Euch also auch verändert?
Waldemar: Unser Schlüsselerlebnis hatten wir in Thailand: Wir trafen einen Kanadier, der nur noch wenige Tage Urlaub, aber dafür einen vollen Plan an Aktionen hatte. Da wurde uns bewusst, dass wir anders geworden waren – unser Visum lief erst in zwei Wochen ab und wir überlegten, ob wir überhaupt noch weiterfahren sollten. So ist es bis heute geblieben: Nicht die Menge an Erfahrungen macht ein Erlebnis aus, sondern das Hier und Jetzt.
Katja: Unsere Reise war ein Weg mit vielen Höhen und Tiefen, der uns bis heute immer wieder zum Nachdenken auffordert: Wer sind wir? Wo wollen wir hin? Wie wollen wir leben? Sind wir glücklich, so wie wir leben? Ohne diese Reise würden wir uns heute immer noch in einem Karussell drehen. Die Reise hat uns alle ein gutes Stück vorangebracht.
Wohin hat es Euch in den Jahren nach Eurer großen Reise gezogen?
Am Minenfeld entlang... © Waldemar Piontek
Katja: Ja, wir sind sehr langsam geworden. Mittlerweile wissen wir, dass auch kurze Ausflüge etwas anstoßen können. So gesehen, sind wir immer wieder irgendwo unterwegs.
Was sagt Ihr anderen Familien, die von einer großen Reise träumen?
Katja: Lebt Eure Träume! Habt Mut zur Veränderung und vertraut darauf, dass Ihr schafft, was Ihr Euch vornehmt. Klar, es gibt Umstellungen, aber die gibt es auch bei einem Jahresurlaub von 14 Tagen! Unterwegs stellt Ihr dann fest, wie wenig der Mensch braucht. Das war für uns eine große Erkenntnis.
Vielen Dank für das Interview, Familie Piontek!
Wer mehr über die Reisen der Pionteks lesen und sie vielleicht einmal live bei einem Diavortrag sehen möchte, der schaut am besten auf ihrer Website vorbei: www.39grad.de.
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Die komplette Serie Außergewöhnliche Familien auf Reisen
- Teil 1: Mit Lkw und Kind auf der Straße des Lebens
- Teil 2: Eine globale Familie auf Weltenbummelei
- Teil 3: Mit Baby im Fahrradanhänger durch Neuseeland
- Teil 4: Die Reise-Profis – mit Teenagern unterwegs
- Teil 5: Mit drei Kindern im Lkw durch Südamerika
- Teil 6: Mit Lola und Nanuk um die Welt
- Teil 7: Mit Fahrrad und Anhänger durch Südostasien
- Teil 8: Einmal um die Welt – für wenig Geld
- Teil 9: Allein mit Kind um die Welt – na klar!
- Teil 10: Weihnachten unter Palmen – vier Schweizer grüßen aus Thailand!
- Teil 11: Mit drei Kindern im Wohnwagen unterwegs – ohne Rückkehrdatum
- Teil 12: Reisen mit schulpflichtigen Kindern: unsere Erfahrungen als Freilerner-Familie
- Teil 13: Allein reisen mit Kind? Nein, allein reisen mit Mama!
- Teil 14: Was kostet eine Weltreise mit Kindern? Wir rechnen nach
- Teil 15: Allein mit Kind von Nepal durch Südamerika
Das klingt nach einer tollen Reise! Wunderbar <3