PsychologieWenn der Urlaub zur Belastung wird – Kulturschock und Urlaubsdepression

Im Urlaub will man sich erholen und mit den anderen Familienmitgliedern eine schöne Zeit haben. Oft kommt es anders: Man kann Gedanken an den Beruf nicht abschalten oder fühlt sich durch das Reisen an sich überfordert. Was ihr tun könnt, damit alle entspannt sind.

von KidsAway-Redaktion


Der Traum vieler gestresster Eltern: Erholung pur © Warren Goldswain - Fotolia.com

Der Traum vieler gestresster Eltern: Erholung pur

© Warren Goldswain - Fotolia.com

Man kann den Stein schon fast plumpsen hören, der von den Schultern vieler Eltern fällt: „Endlich Urlaub!“ Obwohl die Vorfreude groß ist, klappt es mit dem Entspannen und der tollen Zeit in Familie häufig nicht wie gewünscht – mal eben die Mails abrufen, nebenbei einen kleinen Auftrag erledigen oder einfach nur über den Beruf oder die unsichere Zukunft grübeln, das tut nach aktuellen Erhebungen mindestens die Hälfte der deutschen Arbeitnehmer im Urlaub  – ganz zu schweigen von den Selbständigen, denen das Abschalten naturgemäß noch schwerer fällt.

Ohne Smartphone und Internetzugang fühlen sich immer mehr Erwachsene (und Jugendliche) regelrecht wie „auf Entzug“. Abgesehen von der Gewöhnung an das ständige Online-Sein, verbirgt sich zumindest bei Berufstätigen dahinter aber meist nur die Angst vor dem Berg von Arbeit nach der Rückkehr aus dem Urlaub. Dafür gibt es sogar einen wissenschaftlichen Begriff: „Post Holiday Syndrome“ (Nach-Ferien-Syndrom) nennen Psychologen das Phänomen, dass Menschen nach einem Urlaub paradoxerweise weniger glücklich sind.

 

Wenn das Abschalten nicht funktioniert

Eine abgelegene Ferienhütte am See, ein Campingplatz ohne WLAN oder ein tropischer Strand  – all diese idyllischen Urlaubsszenerien verkehren sich für berufstätige Eltern schnell ins Gegenteil. Durch die Abgeschiedenheit und die Ruhe werden die Gedanken wunderbar frei  – und kreisen ständig um den Beruf.

Eine andere Gefahr ist der Erwartungsdruck, der durch die vielen Reiseberichte von Bekannten und im Internet auf jungen Eltern lastet: Andere erleben so viel und unternehmen die tollsten Sachen mit Baby und Kind, und wir? In der kostbaren Urlaubszeit will man sich einerseits bestmöglich erholen, andererseits möchte man den Kindern viele tolle Erlebnisse bieten und ein guter Vater (oder eine gute Mutter) für sie sein.

Die Folge: Die Urlaubszeit fliegt nur so dahin, und anstatt den Moment zu genießen, schleppt man sich und die Kinder hektisch von einer Aktivität zur nächsten und denkt ständig daran, wie viele Tage noch bis zur Abreise sind. Das Urlaubsende droht mit der Sorge, bis dahin nicht „richtig“ erholt zu sein. Dass ein solcher, selbst auferlegter Druck keine wirkliche Entspannung zulässt, ist klar.

Die „Liegestuhl-Depression“ ist zwar keine klassische Depression, sie sollte aber als ernsthaftes Anzeichen für ein Burn-out-Syndrom genommen werden.

Dr. Gerhard Zimmermann, Psychologe aus Mainz, hat sich auf Stressmanagement spezialisiert und berät viele Patienten, die im Urlaub keine Erholung finden. Er mahnt: Die „Liegestuhl-Depression“ ist zwar keine klassische Depression, sie sollte aber als ernsthaftes Anzeichen für ein Burn-out-Syndrom genommen werden.

Berufstätige, aber auch viel beschäftigte Familienmütter und Familienväter, sind in einem Zustand von Dauerstress, ihnen fehlen genügend Erholungsphasen. Ihr Körper schüttet ständig große Mengen von Stresshormonen wie Adrenalin, Noradrenalin und Corticoide aus, was Herzfrequenz und Blutdruck steigert und die Tätigkeit des Verdauungssystems einschränkt. Auch das Immunsystem arbeitet dann weniger effektiv. Die Anstrengungen einer Reise (und des Packens), die Zeitverschiebung und das andere Klima sind da nicht eben förderlich.

So ein Mist: krank im Urlaub © Hannes Eichinger - Fotolia.com

So ein Mist: krank im Urlaub

© Hannes Eichinger - Fotolia.com

Das Ergebnis:  Kaum ist man im Urlaub, wird man krank. Das müssen keine schlimmen Krankheiten sein, aber typische Urlaubs-Wehwehchen wie Erkältungen, Schlafstörungen oder Magen-Darm-Infekte können einen Sieben-Tage-Urlaub komplett lahm legen. Kaum geht es einem besser, fährt man auch schon wieder nach Hause.

Dr. Zimmermann empfiehlt gestressten Eltern daher dringend, schon vor der Abreise ein wenig herunterzufahren und nicht erst am Vorabend hektisch zu packen. Je älter man wird, desto weniger steckt man den Stress des Alltags weg, und desto anstrengender werden spontane und hektische Reisen.

Mediziner gehen davon aus, dass der Körper ungefähr eine Woche benötigt, um sich auf einen anderen Tagesrhythmus einzustellen – befindet man sich in einer anderen Zeit- oder Klimazone, dauert das noch länger. Auch Kinder brauchen eine Weile, bis sie sich an den gemütlicheren Urlaubsrhythmus gewöhnt haben – Eltern machen diese leidvolle Erfahrung jedes Wochenende.

Längere Reisen sind also besser für den Körper, damit er sich wirklich erholen kann. Entwarnung für Selbständige, die ihre Firma nicht lange allein lassen können: Studien haben gezeigt, dass hierfür schon eine Urlaubsdauer von zwei Wochen genügt. Dr. Zimmermann rät, den Urlaub aufs Jahr aufzuteilen: Zwei Wochen Sommerurlaub und zwei Wochen Winterurlaub bringen immer mal wieder benötigte Erholungsphasen in den Alltag, kürzere Auszeiten an langen Wochenenden und Brückentagen sind dann noch locker drin.

 

Entspannen im Urlaub – wie das gehen kann

Ausgleich ist ein wichtiger Punkt, den man bei der Urlaubsgestaltung im Blick behalten sollte: Eltern mit anstrengendem Familienalltag oder Büroalltag und Kinder mit anstrengendem Schulalltag profitieren vor allem von Ruhe und ausreichend Bewegung an der frischen Luft. Die körperliche Betätigung hilft dabei, Stresshormone abzubauen – natürlich in Maßen und nicht als Extremsport.

Urlaub draußen in der Natur oder am Strand, mit möglichst wenig zusätzlicher Aufregung ist für gestresste Familien und Kinder ideal – ablenkende Animationsprogramme und Hoteltrubel sollte man vermeiden, Kulturtrips und Bildungsreisen besser auf Kurzurlaube nur mit dem Partner verschieben.

Gesunde Ernährung und genügend Schlaf sind Mindestbedingungen für den Körper, damit er wirklich regenerieren kann. Auch wenn es verlockend ist: Sieben Tage Pizza und abends ein Kasten Bier, das führt nicht wirklich zu Erholung.

Arbeiten im Urlaub? Vorsichtig! © Piotr Marcinski - Fotolia.com

Arbeiten im Urlaub? Vorsichtig!

© Piotr Marcinski - Fotolia.com

Auch wenn es schwer fällt: Das Handy und den Laptop solltet ihr am besten zu Hause lassen oder wenigstens im Hotelsafe einschließen. Beruhigt fahrt ihr in den Urlaub, wenn ihr vor der Abreise schon alles so gut wie möglich für eure Rückkehr vorbereitet: Projekte nicht halbfertig liegenlassen, für den ersten Arbeitstag keine Meetings oder Abgabetermine einplanen und vor allem Zuständigkeiten festlegen, damit ihr nicht während des Urlaubs ans Telefon gehen müsst!

Selbständige und Freiberufler wie etwa (Reise-)Journalisten, die während des Urlaubs wirklich arbeiten müssen, sollten sich für diese Pflichten feste Zeiten einrichten, in denen sie von den anderen Familienmitgliedern nicht gestört werden – und darauf achten, dass sie diese Zeitfenster nicht ausdehnen!

Oft kommt uns eine übertriebene Erwartungshaltung an den Urlaub in die Quere: Er muss möglichst aufregend und spektakulär sein, an exotische Ziele führen oder im perfekten  Hotel gemacht werden. Damit setzen wir uns selbst unter Action-Stress oder ärgern uns permanent, wenn mal etwas nicht so toll läuft.

Die „Kür“ des Entspannen-Lernens ist daher, seine wirklichen Bedürfnisse zu kennen und dazu zu stehen: Wenn euch allen nur nach ein paar faulen Tagen am See ist oder Papa gern mal ganz allein angeln gehen würde, dann macht das! Urlaub auf Balkonien kann viel entspannender sein als eine hektische Woche im Strandhotel mit Nachtflug und Mallorca-Akne.

 

Kulturschock oder Depression?

Wenn der Urlaub so stressig beginnt, fällt Erholung schwer © adisa - Fotolia.com

Wenn der Urlaub so stressig beginnt, fällt Erholung schwer

© adisa - Fotolia.com

Ein anderes Problem haben viele Reisende, die unbekannte Länder entdecken wollen: Auch immer mehr Eltern machen mit Baby und Kind Tropenreisen nach Asien oder erkunden Australien im Wohnmobil. Meistens sind diese Reisen kein Problem: Fast alle Länder sind heute touristisch gut erschlossen, die Menschen sind freundlich und man macht viele interessante Erfahrungen.

Mitunter kommt es jedoch anders: Man fühlt sich verloren, ist von den Verhaltensweisen der Einheimischen befremdet oder schockiert, kann sich nicht orientieren und nicht verständigen. Die Zeitumstellung und die Belastungen des Reisens führen zu Schlafstörungen, man ist nervös und ängstlich und zieht sich in sich selbst zurück.

Professor Butollo vom Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität München, beruhigt: „Solche Symptome haben die meisten Langzeitreisenden.“ Sie werden durch Stress und körperliche Belastungen ausgelöst und allgemein unter dem Begriff „Kulturschock“ gesammelt. Die allermeisten Reisenden kommen damit gut zurecht – spätestens nach ein paar Tagen hat man sich an die Fremde gewöhnt und sich selbst wiedergefunden.

Legen sich die Probleme jedoch nicht, sondern werden eher schlimmer, solltet ihr an eine Reisedepression denken – eine solche kann durch eine Veränderung des Umfelds ausgelöst werden, mitunter schlummert aber auch bereits eine „echte“ Depression im Hintergrund, die nun offen zutage tritt.

 

Tipp Reisedepression durch Medikamente?

Fühlt ihr euch über längere Zeit abgeschlagen und depressiv oder schlaft ihr auffallend schlecht, dann prüft auch eure Reiseapotheke: Einige Wirkstoffe, die etwa in Malariaprophylaxe-Medikamenten enthalten sind, können zu psychischen Verstimmungen und Depressionen führen!

 

Wie man mit dem Kulturschock umgeht

„Das, was mir gerade passiert, ist ganz normal“, diese Erkenntnis ist sehr wichtig. Auch Reiseprofis kann es immer wieder neu erwischen. Zieht euch nicht zurück und schämt euch nicht, weil euch der teure Urlaub nicht gefällt und der Partner vielleicht enttäuscht über euer Verhalten ist. Geht offen mit euren Wahrnehmungen um, sprecht darüber und erzählt auch den Kindern, dass ihr euch gerade nicht so wohlfühlt, dass das aber bald vorbeigehen wird.

Auch Kinder können natürlich einen Kulturschock bekommen, sobald sie die Unterschiede zwischen ihrer eigenen Kultur und der des Urlaubslandes wahrnehmen können. Beobachtet daher auf längeren Reisen eure älteren Kinder genau, sprecht viel mit ihnen und helft ihnen, mit den kulturellen Unterschieden zurechtzukommen.

Anstrengende Ausflüge und Touren solltet ihr in so einer Phase erst einmal auf später verschieben. Jetzt heißt es, die Dinge ruhig angehen und so locker wie möglich bleiben.

Vertraute Speisen aus der Heimat, ein deutscher Fernsehsender im Hotel oder ein Anruf bei der Familie zu Hause können die innere Sicherheit zurückgeben, aber übertreibt es mit dem Rückzug nicht: Schließlich seid ihr ja bewusst in die Ferne gereist, um hier etwas anderes kennenzulernen.


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