KidsAway.de-InterviewVom Kampf einer Stewardess für mehr Kindersicherheit an Bord
Eine Person, ein Sitzplatz - das gilt nicht für Kinder unter 2 Jahren, die auf dem Schoß ihrer Eltern mitfliegen dürfen. Die ehemalige Stewardess Jan Brown setzt sich seit 25 Jahren dafür ein, dass diese lebensgefährliche Politik aufgegeben wird. Wir haben mit ihr gesprochen.
von KidsAway-Redaktion
Sichere Sitzplätze für Kinder und Babys - im Flugzeug immer noch nicht selbstverständlich
© Andres Rodriguez - Fotolia.com
Leider ist das nach wie vor weder für Eltern noch für die Fluggesellschaften selbstverständlich – Argumente für den Transport von Kleinkindern auf dem Schoß der Eltern, gesichert allenfalls mit dem nicht als Rückhaltesystem geeigneten „Loop Belt“, sind einerseits die niedrigen Kosten und andererseits schierer Fatalismus:
„Wenn etwas passiert, sind wir eh alle tot.“
Dass dem bei Weitem nicht so ist, zeigen immer wieder Zwischenfälle in der Luft und Abstürze. In den USA werden jedes Jahr 58 Menschen bei Turbulenzen verletzt, weil sie nicht angeschnallt waren, und immer wieder kommt es auch zu tragischen und vermeidbaren Todesfällen von Kleinkindern, die nicht angemessen gesichert waren.
Ein berühmtes Beispiel für so einen Vorfall ist der Absturz von Flug 232 der United Airlines von Denver nach Chicago im Jahr 1989. 111 der knapp 300 Passagiere kamen bei dem Absturz ums Leben. Unter den Kindern an Bord waren vier ohne eigenen Sitzplatz; eines dieser „lap children“, die von ihren Eltern nach Anweisung der Crew vor dem Aufprall auf den Boden gelegt wurden, starb, weil die Mutter es nicht festhalten konnte und es im brennenden Flugzeugwrack nicht wiederfand.
Chefstewardess Jan Brown, die bei dem Unglück selbst schwer verletzt wurde, kämpft seit diesem Tag für mehr Sicherheit von Kindern im Flugverkehr. Die ihr mitgegründete Organisation „Safe Seats for Every Air Traveler“ will die US-Flugbehörde FAA überzeugen, keine Mitnahme von Kindern unter zwei Jahren auf dem Schoß eines zahlenden Passagiers mehr zu erlauben.
Wir haben Mrs. Brown gefragt, welche Erfahrungen sie in über 20 Jahren des Eintretens für die Sicherheit von Kindern gemacht hat.
Mrs. Brown, wieso kämpfen Sie so unermüdlich für sichere Sitzplätze für Kinder im Flugzeug?
Jan Brown (links) kämpft seit 25 Jahren für sichere Kindersitze im Flugzeug
© Jan Brown
Eine der Mütter an Bord, die ich noch beruhigt hatte, als unser erstes Triebwerk explodierte, konnte ihren 22 Monate alten Sohn beim Aufprall auf einem Maisfeld nicht festhalten, er starb. Ich sah später, wie sie versuchte, in das brennende Wrack zurückzukehren, um ihn zu suchen. Da sie der Rauch getötet hätte, hinderte ich sie daran.
In der brennenden Kabine hatte ich mich schon damit abgefunden, dass ich sterben müsste; wie durch ein Wunder wurde ich aber nur bewusstlos und überlebte. Die Begegnung mit dieser Mutter schien mir ein Zeichen: Wir hatten an diesem Tag nicht die Mittel gehabt, alle unsere Passagiere zu schützen. Ich beschloss daher, das Thema zu verfolgen und dafür zu kämpfen, dass ALLE Passagiere sicher fliegen … vor allem jene, die am verletzlichsten sind.
Was wollen Sie genau erreichen – und glauben Sie, dass Sie irgendwann Erfolg haben werden?
Mein einziges Ziel ist: eine Person – egal, wie alt –, ein Sitzplatz! Ich hoffe, dass ich Erfolg habe, bevor wieder ein Kind stirbt. Die FAA verfolgt leider eine “Grabstein-Politik”: Man handelt erst, wenn es genug Todesfälle gab.
Wie viele – vermeidbare – Unfälle mit Kindern ohne eigenen Sitzplatz passieren denn jedes Jahr im Flugverkehr?
Die FAA dokumentiert keine Verletzungen, nur Todesfälle. Es ist also sehr schwierig, von solchen Zwischenfälle zu erfahren, wenn sie es nicht in die Nachrichten schaffen. 1999 sank eine Maschine plötzlich um mehrere tausend Fuß, wobei ein kleines Mädchen an die Decke geworfen wurde. Sie erlitt dabei einen Schädelbruch, wurde aber erst nach der Landung von einem Arzt für tot erklärt – technisch war sie also nicht an Bord gestorben. Es gibt bisher nur den Todesfall von dem Absturz 1989 und einen weiteren in Charlotte, North Carolina, von 1994.
In diesem Februar gab es einen Fall mit schweren Turbulenzen auf einem United-Flug nach Montana: Eine Mutter konnte dabei ihr Kind nicht festhalten, das aber zum Glück nicht verletzt wurde.
In Europa müssen Eltern ihre Kinder unter zwei Jahren mit einem “Loop Belt” auf dem Schoß sichern. Finden Sie das besser als die Regelung in den USA?
Dieser Gurt ist bei uns als “buddy belt” bekannt. Er schützt die anderen Passagiere zwar vor Kindern, die als lebende Geschosse durch die Kabine fliegen, birgt aber selbst ein großes Risiko bei den damit gehaltenen Kindern. Ich komme gerade aus Auckland zurück und saß auf der anderen Seite des Gangs neben einem sechs Monate alten Kind mit Loop Belt. Seine Mutter schien erst dort festzustellen, dass dies kein sicheres Arrangement war. Zum Glück hatten wir einen ruhigen Flug.
Die einzige Art, sicher zu fliegen, ist in einem zugelassenen Sitz!
Auch nach dem Unglück mit Flug 232 waren Sie weiterhin als Stewardess tätig. Haben Sie auch dann noch Eltern mit Kindern ohne eigenen Sitzplatz die Notfallprozedur der Airlines nahe gelegt?
Nach dem Absturz hat weder die Airline noch die FAA die Sicherheitsvorkehrungen geändert, aber ich habe in meinen Briefings vor dem Abflug von da an immer darauf geachtet, ob “Schoßkinder” an Bord waren. Wenn so ein Kind schon selbst sitzen konnte, haben wir alles versucht, einen eigenen Sitzplatz für es zu finden und es mit Kissen und Decken zu sichern – auch wenn wir dafür andere Passagiere umsetzen mussten.
Wird das Flugpersonal heute besser in Sachen Kindersicherheit an Bord ausgebildet und instruiert als zu Ihrer Zeit?
Die Safety Card - oft ohne Informationen für Babys und Kleinkinder
© Flickr/slasher-fun
Warum verbessern die Airlines ihre Regeln zum sicheren Transport von Kleinkindern nicht?
Für die Airlines zählen nur die zahlenden Passagiere. Die Weigerung der FAA, Sitzplätze für Kinder unter zwei Jahren verpflichtend zu machen, trägt für mich eine klare Botschaft: Diese kleinen Kinder zählen nicht, ihr Verlust wäre für die Versicherungen der Airlines nicht allzu teuer. Kleinkinder haben keine Stimme und keine Lobby – also bin ich wohl ihre Lobbyistin.
Wie haben die Airlines, die Regierung und andere Eltern auf Ihr Engagement für Kindersicherheit reagiert?
Meine Airline, United, gestattete mir, Unterschriften von allen Flugbegleitern zu sammeln, als zwischen 1990 und 1996 im Kongress über eine Gesetzeseinführung debattiert wurde. Die Vorsitzende der NTSB (die Nationale Behörde für Transportsicherheit, die Unglücksfälle im Transportwesen aufklärt), Deb Hersman, ist ebenfalls eine große Unterstützerin von mehr Kindersicherheit und hat die FAA wiederholt aufgefordert, hier tätig zu werden. Es gibt noch mehr Organisationen, die dasselbe Ziel verfolgen wie wir, zum Beispiel die American Academy of Pediatrics (Organisation von Kinderärzten, der fast alle US-amerikanischen Kinderärzte angehören).
Was können wir als Eltern tun, um sichere Sitzplätze für unsere Kinder in Flugzeugen bei den Airlines und der Regierung einzufordern?
Eltern können zunächst alle möglichen öffentlichen Stellen anschreiben, die in dieser Angelegenheit Einfluss haben. Sie können andere Eltern und Großeltern informieren und immer wieder über das Thema sprechen; sie können sich auch an Tageszeitungen, an Fernsehsender und Familienzeitschriften wenden. Andere Vorschläge und Ideen sind immer willkommen!
Vielen Dank für das Interview, Mrs. Brown!
Wer sich näher über den Einsatz von Jan Brown informieren möchte, der kann das auf der Facebook-Seite der Organisation „Safe Seats for Every Air Traveler“ tun.