Eltern fragen, Experten antwortenMit Kindern sicher fliegen: was ihr wissen müsst

Ist der Loop Belt wirklich sicher? Welche Airlines erlauben den Cares-Gurt? Und wieso stellen sie nicht einfach selbst sichere Kindersitze zur Verfügung? Diese und weitere Fragen haben wir den Experten von TÜV Rheinland und ADAC gestellt.

von KidsAway-Redaktion


Zum Fliegen mit Kindern gibt es tausend Fragen © Dominik Mentzos/Lufthansa

Zum Fliegen mit Kindern gibt es tausend Fragen

© Dominik Mentzos/Lufthansa

Es gibt kaum ein Thema, über das bei Eltern so viele Unsicherheiten bestehen und bei dem sich die Meinungen so stark spalten wie das Fliegen mit Babys und kleinen Kindern.

Der Erfolg unseres Handbuchs „Fliegen mit Baby und Kleinkind“ zeigt uns, dass ihr dazu viele, viele Fragen habt. Wir haben die wichtigsten daher weitergereicht – an die Experten, die es wissen müssen.

Wir haben Auto-Experten zum sicheren Autofahren mit Kindern befragt, und wir haben eure Fragen an Fahrrad-Experten weitergereicht. Heute sind die Fachleute vom TÜV Rheinland dran, und auch der ADAC kommt zu Wort.

Unsere Bitte an euch: Nehmt euch die Zeit zum Lesen und sagt anderen Eltern weiter, was ihr hier gelesen habt!

Nur wenn immer mehr Eltern über die wirkliche Lage Bescheid wissen, können sie eine bewusste Entscheidung über die Sicherung ihrer Kinder im Flugzeug treffen und Druck auf die Airlines ausüben, damit endlich mehr für Babys und Kleinkinder getan wird!

 

1. Wieso empfehlen TÜV und FAA so dringend Kindersitze im Flugzeug, es ist doch noch nie etwas Schlimmes passiert?

Herr Sperber vom TÜV Rheinland: „Es gibt durchaus dokumentierte Unfälle mit Kindern.

Im Luftverkehr passiert eine ganze Reihe von kleineren und größeren Zwischenfällen, vor allem kommt es immer wieder zu Verletzungen bei starken Turbulenzen.

Der Schutz von Kindern im Flugzeug ist aber aus einer ganz anderen Perspektive wichtig: Es geht um die Gleichberechtigung! Die ist sogar im deutschen Grundgesetz verankert: Niemand darf anders behandelt werden, nicht wegen seine Hautfarbe, seines Geschlechts – und natürlich auch nicht wegen seines Alters. Im Luftverkehr werden Kinder aber anders behandelt.

Wenn Flugzeuge für den Gebrauch zugelassen werden, müssen die Kabinen und die Passagiersitze sogenannte ,Notlandebedingungen‘ erfüllen. Ob die Sitze fest genug sind, der Sitzabstand ausreicht und die Beckengurte ihre Schutzwirkung erfüllen, wird in ausführlichen Crashtests mit Dummies getestet.

Die maximal zulässigen Belastungswerte sind in den Bauvorschriften der Airlines verankert. Sie geben erwachsenen Passagieren eine gute Chance, sich nach einem Unfall selbst zu evakuieren. Tatsächlich sind nach einer internen TÜV-Statistik 80% aller Flugzeugunglücke überlebbar, wenn die Maschine Crash-sicher gebaut ist.

Eine solche Chance haben Kinder im Flugzeug aber nicht! Der TÜV prangert es an, dass selbst der Gesetzgeber von den Airlines nur Schutzmechanismen für erwachsene Passagiere fordert. Wo ist da die Gleichberechtigung?“

Kinder dürfen und sollten dasselbe passive Sicherheitsniveau beim Fliegen haben wie ihre erwachsenen Mitreisenden auch.

 

Tipp Die amerikanische Sicherheitsbehörde NTSB wertet alle Unfälle im Luftverkehr aus und kommt sogar zu dem Urteil, dass 92 Prozent aller Unglücke überlebbar sind. Allerdings wieder nur: für Erwachsene.

 

2. Wir haben keinen flugzeugtauglichen Autokindersitz. Sollen wir uns extra für den Urlaubsflug einen anschaffen?

Herr Paulus vom Technikzentrum des ADAC beruhigt besorgte Eltern: „Autokindersitze werden für die Benutzung im Auto entworfen und optimiert. Es gibt nur wenige Autokindersitze, die auch für die Benutzung im Flugzeug optimiert sind – denn im Auto herrschen nun einmal gänzlich andere Bedingungen als im Flieger und außerdem gibt es im Auto Dreipunktgurte und im Flieger nur Beckengurte.

Eltern, die einen Autokindersitz kaufen wollen, sollten sich dabei bitte nur an der Eignung für ihr Auto orientieren und nicht nur am Siegel „for use in aircraft“!“

Herr Sperber, Sicherheitsexperte vom TÜV Rheinland, sieht das ein wenig anders: „Der TÜV empfiehlt Eltern von Kindern unter 7 Jahren dringend, im Flugzeug einen zertifizierten Kindersitz zu verwenden. Es gibt bis dato leider einfach keine andere Möglichkeit, um für Kinder denselben passiven Schutz zu gewährleisten wie für Erwachsene.

Viele Eltern finden das unbequem oder stöhnen über die teuren Flugtickets. Aber niemand will doch aus diesen Gründen wirklich in Kauf nehmen, dass sein Kind im Flugzeug schwer verletzt oder getötet wird?!

Außerdem gibt es eine Alternative zum sperrigen Kindersitz: den Luftikid.“

 

Ihr habt noch nie vom Luftikid gehört? Kein Wunder, er wurde nur in einer kleinen Auflage hergestellt und nach deren Abverkauf nicht mehr nachproduziert. Mit Glück findet ihr einen dieser aufblasbaren Sitze gebraucht auf Ebay. Dann schlagt zu! Der Luftikid ist nach wie vor der einzige Kindersitz, der speziell für die Verwendung im Flugzeug entwickelt wurde.

 

3. Sollte man den Luftikid im Flieger verwenden, auch wenn er vom ADAC mit „mangelhaft“ getestet wurde?

Herr Sperber vom TÜV Rheinland: „Der ADAC testet Kindersitze speziell hinsichtlich ihrer Eignung, Kinder bei Autounfällen bestmöglich zu schützen. Im Auto treten aber ganz andere Kräfte und Belastungen auf als im Flugzeug, wenn es zu einem Crash oder zu Turbulenzen kommt.

Das ist zum Beispiel beim Seitenaufprall so: Im Auto ist der Seitenaufprallschutz sehr wichtig, weshalb er seit einigen Jahren auch Bestandteil der Tests ist. Im Flugzeug kommt es aber auch bei schweren Crashs nur zu geringen Belastungen von der Seite.

Für das Autofahren mag der Luftikid daher nur bedingt geeignet sein, für die Luftfahrt ist er aber hervorragend! Er ist klein und leicht im Packmaß, kann einfach und auf jedem Flugzeugsitz verwendet werden und bietet Kindern, die aus der Babyschale herausgewachsen sind, guten Schutz speziell vor den im Flugzeug auftretenden Belastungen.“

 

4. Warum empfiehlt der TÜV nicht den CARES-Gurt als Flugzeugrückhaltesystem?

Herr Sperber, TÜV Rheinland, erklärt das gern: „Als Rückhaltesystem für Frontalaufprall-Unfälle macht der CARES-Gurt biomechanisch wenig Sinn, denn er nutzt ja den normalen Flugzeug-Beckengurt. Der liegt aber bei Kindern bis etwa sieben Jahre nicht im Becken-, sondern im Bauchbereich.

Bei einem Aufprall zieht der Brustgurt des CARES-Gurtes den Beckengurt sogar noch ein Stück weiter nach oben und leitet damit alle Kräfte in den Weichteilbereich des Kindes ein. Aus medizinischer Sicht ist das sehr kritisch und führt zu schweren Verletzungen.

Dazu kommt, dass die Flugzeugsitze nur für relative geringe Belastungen gebaut sind – das sogenannte „limited breakover“. Der Brustgurt kann auch deshalb keine Rückhaltewirkung haben, weil die Rückenlehne einfach nach vorn klappen würde.

All das schließen wir übrigens allein aufgrund geometrischer Betrachtungen, die wir aus den Bewegungsabläufen bei realen Crashtests ableiten. Der CARES-Gurt selbst hat sich unseres Wissens noch in keinem Crashtest beweisen müssen.

Der einzige Vorteil, den wir am CARES-Gurt erkennen können, ist, dass er dem Kind einen eigenen „Überlebensraum“ auf seinem eigenen Sitzplatz gewährt. Das ist allemal besser als der Transport auf dem Schoß der Eltern.

Strenggenommen ist der CARES-Gurt von der Sicherungswirkung für Kind aber nur ein Loop Belt auf einem eigenen Sitzplatz.“

Das klingt nicht so gut, was? Wir geben allerdings zu bedenken, dass der CARES-Gurt ja eine Zulassung für den Luftverkehr hat – und die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA vergibt ihr Zertifikat nur nach „ausführlichen Tests“ (wie genau die aussehen, konnten wir allerdings nicht in Erfahrung bringen).

Der Gurt mag vielleicht nicht ganz so gut schützen wie ein Kindersitz, aber als kostengünstige, praktikable Alternative bietet er sicherlich mehr Schutz als gar kein Rückhaltesystem.

 

5. Warum darf der CARES-Gurt bei immer mehr Airlines nicht mehr verwendet werden?

Mit dem CARES-Gurt fliegen Kinder sicher © Amazon.de

Mit dem CARES-Gurt fliegen Kinder sicher

© Amazon.de

Da setzt sich endlich ein praktikables Rückhaltesystem am Markt durch, das immer mehr Eltern gern für Kinder ab etwa 2 Jahren im Flugzeug verwenden, und dann wird dieses System Schritt für Schritt von immer mehr Airlines abgelehnt. Was ist da los?, fragen uns viele verwirrte Eltern.

KidsAway bemüht sich seit Monaten darum, von Lufthansa und anderen deutschen Airlines eine stichhaltige Erklärung für deren geänderte Regelungen zu bekommen – leider bisher erfolglos.

Vielleicht liegt es an den neuen Flugzeugsitzen, die schmaler und dünner sind und den Gurt bei einem Front-Aufprall nicht mehr halten könnten? Vielleicht behindert der Gurt die neuen klappbaren LED-Monitore in den Rücklehnen?

Oder vielleicht orientieren sich die Airlines ja – verspätet – an der Empfehlung des TÜV, der den CARES-Gurt als nicht sicher ansieht?

Fest steht: Das Bordpersonal ist sehr oft nicht oder nicht korrekt über die Sicherheitsregelungen seiner eigenen Airline informiert. Geht es ans Anschnallen, dann legt ganz selbstverständlich den CARES-Gurt an und zeigt verwunderten Stewardessen das Zertifikat der FAA.

Weist sie auch darauf hin, dass euer Kind selbstverständlich mit dem Beckengurt gesichert ist – euer Gurt ist ja nur eine zusätzliche Sicherung. Uns ist bisher kein Fall bekannt, in dem die Benutzung des CARES-Gurtes tatsächlich untersagt worden wäre.

 

6. Dürfen wir eine Sitzerhöhung im Flugzeug verwenden?

Herr Toth vom TÜV Rheinland meint: „Grundsätzlich empfehlen wir die Benutzung eines Booster-Sitzes, um die Gurtführung zu verbessern und das Risiko von Abdominal- und Kopfverletzungen bei Kindern zu verringern. Die Sitze müssen dabei aber kompatibel mit dem Fluggastsitz sein und ihre Aufgabe im Notlandefall mit Zweipunktgurt-Anbindung erfüllen. Und auch wenn sie nicht besetzt sind, dürfen sie sich z. B. während Turbulenzen nicht vom Fluggastsitz lösen.

Bislang sind bei uns allerdings keine Anträge zur Qualifizierung einer geeigneten Sitzerhöhung ohne Rückenlehne eingegangen. Sitzerhöhungen mit Rückenlehne haben wir hingegen bereits mehrfach für die Benutzung im Flugzeug qualifiziert. (-> hier findet ihr eine Auflistung geeigneter Kindersitzmodelle)

In den USA sind Sitzerhöhungen im Flugzeug – mit und ohne Rückenlehne! – übrigens ausdrücklich verboten, weil sie bei Tests auf einigen Flugzeugsitzen schlecht abschnitten.“

Da es bisher keine Sitzerhöhung mit Flugzeug-Zertifizierung gibt, dürft ihr diese Kindersitze strenggenommen nicht bei Start und Landung verwenden. Fragt auf jeden Fall bei eurer Airline nach! Da eine Sitzerhöhung kaum Platz wegnimmt, könnt ihr sie problemlos als Handgepäck mit in die Kabine nehmen und dort dann entscheiden (lassen), ob ihr sie am Platz nutzen könnt.

 

7. Wie testet der TÜV, ob ein Kindersitz „for use in aircraft“ geeignet ist?

Herr Sperber, TÜV Rheinland: „Die Flugzeug-Eignung eines Kindersitzes wird nach einem Qualifizierungs- Standard geprüft, der in den Europäischen Betriebsvorschriften für Flugzeuge festgeschrieben ist. Bei der Erstellung dieses Standards haben das Luftfahrtbundesamt, der TÜV und verschiedene Airlines zusammengearbeitet.

In den Standards wird genau beschrieben, welche zusätzlichen Tests ein Autokindersitz für die Verwendung im Flugzeug bestehen muss. Dabei wird der Sitz genau wie bei den Auto-Crashtests auf einen Schlitten gebaut und darauf getestet, ob er bei einer starken Bremsung hält, ob das Kind nicht herausgeschleudert wird und welche Belastungswerte dabei im Kopf-, Hals- und Brustbereich entstehen.

Der Unterschied: Der Sitz wird dabei mit einem Zweipunktgurt befestigt, nicht wie im Auto mit einem Dreipunktgurt oder mit Isofix. Und die Verzögerungsimpulse für eine Flugzeug-Crashlandung sind auch ganz andere als bei einem Autounfall.“

 

8. Wonach entscheidet es sich, welcher Kindersitz das Siegel „for use in aircraft“ erhält?

Herr Sperber, TÜV Rheinland: „Jeder Kindersitz-Hersteller kann eine Prüfung beim TÜV Rheinland auf die Eignung im Flugzeug beantragen. Aus Sicht der Eltern lohnt es sich also durchaus, bei den Herstellern nachzufragen und Druck zu machen!“

 

9. Würde sich auch eine Babyschale ohne das TÜV-Siegel eignen, die sehen doch alle gleich aus?

Herr Sperber, TÜV Rheinland: „Nur mit dem TÜV-Siegel können Eltern wirklich sicher sein, dass ein Kindersitz die Belastungen eines Crashs in der Luft aushält. Von außen sehen viele Modelle sehr ähnlich oder gleich aus, aber die innere Struktur ist nicht automatisch identisch.

Für die Zulassung als Autositz muss zum Beispiel eine Babyschale nur mit dem Dreipunktgurt getestet werden, denn nur diese Gurte werden im Auto verwendet. Wirken bei einem Flugzeugunglück dieselben oder noch größere Kräfte auf die Seitenklammern der Babyschale ein, können sie einfach abreißen, wenn sie nicht eigens verstärkt sind.

Deshalb: Bitte wirklich nur Autositze mit dem TÜV-Siegel „for use in aircraft“ ins Flugzeug mitnehmen, auch wenn eine Airline das nicht ausdrücklich fordert!“

 

10. Werden die Kindersitze, die „for use in aircraft“ zertifiziert sind, von den Airlines auch ausprobiert?

Das Siegel „for use in aircraft“ bedeutet nicht, dass ein so zertifizierter Sitz automatisch in jedes Flugzeug passt oder von jeder Airline akzeptiert wird.

Jede Airline macht ihre eigenen Regeln, was die Zulassung von Kinderrückhaltesystemen an Bord angeht. Es kann durchaus passieren, dass ein eigentlich akzeptierter Sitz in einer bestimmten Maschine dann doch nicht auf den Sitz passt und abgelehnt wird.

Die meisten deutschen Airlines orientieren sich an den vom TÜV ausgegebenen Siegeln. Daneben werden die Empfehlungen der amerikanischen FAA berücksichtigt – allerdings auch nicht von jeder Airline, wie sich an der schrittweisen Ablehnung des CARES-Gurts zeigt.

Herr Sperber vom TÜV Rheinland ergänzt: „Lufthansa hat sich von uns mit dem Siegel „Child Seats Welcome“ zertifizieren lassen. Die Airline verpflichtet sich damit, dass alle von uns „for use in aircraft“ zertifizierten Kindersitze in ihren Maschinen verwendet werden können, das gibt Eltern Sicherheit bei der Flugbuchung.

Leider nehmen noch nicht viele Airlines an dieser Initiative teil. Wir ermutigen Eltern deshalb ausdrücklich, bei den Fluggesellschaften anzurufen und nachzufragen, ob sie an „Child Seats Welcome“ teilnehmen!

Wenn es hier keine Nachfrage von den „Kunden“ gibt, haben die Fluggesellschaften wenig Anreiz, sich zu engagieren. Da braucht es einen langen Atem, um etwas zu verändern – und das ist natürlich schwierig, weil Eltern sich in der Sache nur so lange kümmern, bis ihre Kinder groß genug sind, um ohne Kindersitz zu fliegen.“

 

11. Bei einigen Airlines darf man die Babyschale nur vorwärts gerichtet nutzen. Ist das nicht noch unsicherer, als das Baby auf den Schoß zu setzen?

Herr Sperber vom TÜV Rheinland meint: „Nein und ja. Die Schutzvorrichtungen des Kindersitzes können auf diese Weise natürlich nicht funktionieren, denn er ist ja andersherum konzipiert. Bei einem Startabbruch zum Beispiel käme es unter anderem zu einer starken Belastung im Halsbereich.

Aber immerhin hat das Kind auf seinem eigenen Sitzplatz einen eigenen „Überlebensraum“ und wird so zumindest nicht von dem Erwachsenen erschlagen oder zerquetscht, der es im Loop Belt auf dem Schoß hält.“

Warum einige Airlines – vor allem asiatische – in den letzten Jahren zu diesen Regelungen greifen, konnte uns bisher keiner der Experten erklären. Auch bei den Airlines selbst gibt es dazu keine Begründung!

Die Richtlinie der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO ist diesbezüglich eindeutig: Kinderrückhaltesystem sollten in jeder Flugphase verwendet werden. Jedoch steht es jeder Fluggesellschaft frei, sich nach diesen Vorgaben zu richten – oder auch nicht.

 

12. In US-Airlines ist der Loop Belt verboten, in Europa ist er Pflicht – was ist denn sicherer?

Im Crashtest des TÜV Rheinland zeigt der Loop Belt seine tödliche Wirkung © SWR

Im Crashtest des TÜV Rheinland zeigt der Loop Belt seine tödliche Wirkung

© SWR

Herr Paulus vom ADAC-Technikzentrum sagte uns: „Die FAA geht davon aus, dass das Verletzungsrisiko für Babys durch den Schlaufengurt höher ist als seine Schutzwirkung. Der ADAC setzt dagegen, dass der Schlaufengurt eigentlich nur für Turbulenzen konzipiert ist, wenn alle nicht befestigten Dinge im Flugzeug abrupt nach oben fliegen. Da bieten die Hände der Eltern auch nur begrenzten Schutz.

Dass der Loop Belt im Falle eines Frontalcrashs auf dem Boden eher schädlich wirken würde, ist unbestritten – aber diese Fälle sind statistisch gesehen viel seltener als Turbulenzen während des Fluges.

Insofern ist die Sicherung von Babys auf dem Schoß der Eltern mit dem Schlaufengurt immer noch als besser einzustufen, als sie überhaupt nicht zu sichern.“

 

13. Warum sind rückwärts gerichtete Babyschalen im Flugzeug erlaubt, aber keine Reboarder?

Herr Sperber vom TÜV Rheinland weiß es: „Das liegt zum Teil daran, dass noch keiner dieser Sitze für das TÜV-Siegel angemeldet wurde.

Der eigentliche Grund ist aber die Recline-Funktion des Passagiersitzes vor dem Kindersitz. Die muss gewährleistet sein, und das kann bei der Konstruktion des Reboarders, zusammen mit dem geringen Sitzabstand in Flugzeugen, nicht funktionieren.“

Es gibt einige in den USA erhältliche Reboarder, die das FAA-Siegel „for use in aircraft“ tragen! Die haben nur leider keine Zulassung für die Verwendung in europäischen Autos.

 

14. Ist Kindersicherheit Bestandteil der Ausbildung und der Sicherheitstrainings der Airline-Crews?

Die Bordcrews werden natürlich in puncto Passagiersicherheit und zum Verhalten in Notfällen geschult. Zum Thema Kinderrückhaltesysteme bekommen sie aber keine praktischen Anweisungen oder Trainings.

Da es ohnehin (leider) sehr selten vorkommt, dass Eltern ein Rückhaltesystem für ihre Kinder mit an Bord bringen, greifen Flugbegleiter dann auf das Manual ihrer Airline oder auf die Richtlinie der ICAO zurück – oder sie haben schon etwas vom TÜV-Siegel „for use in aircraft“ oder dem FAA-Zertifikat gehört und akzeptieren die so gekennzeichneten Sitze.

 

TippGeheimtipp: Aus der Not eine Tugend machen!

Der oft mangelhafte Kenntnisstand des Flugpersonals in Sachen Kindersicherheit ist bedauerlich, hat aber auch seine Vorteile: So weiß kaum ein Crewmitglied von Emirates oder Cathay, dass Babyschalen an Bord nur vorwärts gerichtet verwendet werden dürfen, und Lufthansa-Mitarbeiter wissen nur selten, dass der CARES-Gurt in ihren Maschinen nicht akzeptiert wird.

 

15. Wenn die Sicherung von Kindern im Flugzeug so wichtig wäre, dann würde die Politik sie doch gesetzlich vorschreiben – wie im Auto?!

Warum das Bundesverkehrsministerium den Airlines nicht einfach vorschreibt, Babys nur auf eigenen Sitzplätzen und nur altersgemäß gesichert in einem speziellen Rückhaltesystem zu transportieren? Wer versucht, dieser Frage auf den Grund zu gehen, der braucht viel Geduld.

Fest steht: Vor 2008 war die Sicherung von unter zweijährigen Kindern auf dem Schoß der Eltern mit dem Schlaufengurt in Deutschland verboten, er galt als viel zu gefährlich für die Babys.

Dann trat eine neue EU-Verordnung in Kraft, die von den Airlines verlangt, Kinder unter zwei Jahren immer mit einem Rückhaltesystem zu sichern – notfalls auch mit dem Schlaufengurt, wenn kein anderes System zur Verfügung steht.

Die deutsche Regierung interpretierte das überraschend so, dass der Schlaufengurt für Kinder unter zwei Jahren nun also verpflichtend sei, da EU-Recht das deutsche Recht überlagere.

Den schwarzen Peter schob sie damit der EU-Kommission zu, die sich dagegen allerdings verwahrte: „Es ist falsch, dass EU-Recht ab dem 16. Juli die Nutzung des sogenannten Schlaufengurtes verlangt. Die deutschen Behörden können von den unter ihrer Aufsicht stehenden Fluggesellschaften auch die Verwendung von Autokindersitzen oder anderen Rückhaltesystemen fordern oder vorschreiben“, lautete eine Stellungnahme beim WDR.

Appelle der Pilotenvereinigung Cockpit (VC) und der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation (UFO) an das Verkehrsministerium verhallten ungehört; die Argumente der Airlines, sie riskierten mit einem Verbot von Schlaufengurten Wettbewerbsnachteile gegenüber ausländischen Fluggesellschaften und hätten außerdem sonst ihren Vorrat an Schlaufengurten umsonst eingekauft, zählten offenbar stärker.

Pikantes Detail: Der Schlaufengurt hat nach wie vor keine Zulassung als Kinderrückhaltesystem, und eine Zulassung müssen eigentlich alle an Bord eines Flugzeugs verwendeten Bauteile und Ausrüstungsgegenstände in sicherheitsrelevanten Bereichen zwingend haben.

Fragt doch mal das Bordpersonal nach dem Zertifikat dieses Gurtes, wenn sie euch das nächste Mal einen anbieten!

 

16. Warum bieten die Airlines keine eigenen Rückhaltesysteme an, um Eltern entgegenzukommen?

Der Lufthansa Aerokid: eine "total integrierte Lösung" © Lufthansa Technik

Der Lufthansa Aerokid: eine "total integrierte Lösung"

© Lufthansa Technik

Herr Paulus vom ADAC hat eine klare Forderung an die Airlines: „Sie sollten in internationaler Zusammenarbeit ein Kinderrückhaltesystem entwerfen, das speziell für die Bedingungen im Flugzeug optimiert ist, und dieses dann für alle Passagiere mit Kindern vorrätig halten.

Einen Autokindersitz der Gruppe I/II/III im Flugzeug zu verwenden, stellt für Eltern eine große Belastung dar, denn diese Sitze sind oft schwer und sperrig.“

Leider stehen dieser Forderung auf Seiten der Airlines diverse Gründe entgegen. Vor allem sind das logistische: Wo sollen vorgehaltene Rückhaltesysteme gelagert werden? Am Boden würde dafür ein immenser Verwaltungsaufwand entstehen und es wären entsprechende Lagerräume nötig, an Bord der Maschinen würden die Rückhaltesysteme aber nicht immer gebraucht – womit sie dann überflüssiger Ballast wären, der Platz wegnimmt und Treibstoff verbraucht.

Herr Sperber vom TÜV Rheinland hält dagegen: „Ein reines Rückhaltesystem nur für Flugzeuge zu entwickeln, macht kaum Sinn. TÜV und Airlines sind in jahrelangen Diskussionen übereingekommen, dass ein praktikables Rückhaltesystem auch für den Gebrauch im Auto zugelassen sein sollte.

Immerhin finden die Fahrt zum Flughafen und der Weitertransport im Urlaub in vielen Fällen mit dem Auto statt, da kann der Sitz dann gleich weitergenutzt werden. Da ist es allemal besser, wenn Kinder in einem guten Rückhaltesystem sitzen, das ihre Eltern für sie ausgesucht haben – anstatt in abgeschabten Leih-Sitzen fahren zu müssen, über deren Vorgeschichte nichts bekannt ist.“

Nicht zuletzt gibt es kaum eine Nachfrage nach sicheren Rückhaltesystemen von Seiten der Passagiere. Die überwiegende Mehrheit der Eltern ignoriert die Gefahren von Loop Belt und Beckengurt und freut sich über günstige Infant-Tarife. Warum sollten die Airlines also etwas ändern?

 

Wir hoffen, dass unsere Experten einige von euren Fragen aufklären konnten. Habt ihr noch mehr Fragen zum Fliegen mit Babys und Kindern? Dann stellt sie uns!

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